Es war einmal in einem fernen Land eine Kolonie von
einigen Fledermäusen, die gemeinsam mit einer wesentlich größeren Kolonie von
Feldmäusen einen Staat gegründet hatten. Das war gut, denn gemeinsam ist man
stark. Stark gegen Bedrohungen und Fressfeinde, stark bei der gemeinsamen
Nahrungssuche und -lagerung, und bei vielem mehr.
Doch schon nach kurzer Zeit regte sich in den
Feldmäusen der Neid. Die Fledermäuse konnten fliegen, sie selber nicht. War das
nicht ungerecht? Eine besonders kluge Feldmaus stellte die Frage, die niemand
mehr vergessen sollte: »Wer sagt uns, dass die Fledermäuse alles, was sie
erbeuten, auch nach Hause bringen? Dass sie nicht irgendwo außerhalb unseres
Staates weitere Lager einrichten und einen Teil der Beute vor uns verstecken?
Wir können nicht fliegen, haben also auch keine Möglichkeit, das zu
kontrollieren. Sollten in einem Staat nicht alle gleich sein?«
Je mehr die Feldmäuse über diese Möglichkeit
nachdachten, desto schlüssiger schien es ihnen. Ja, man sollte etwas gegen
diese Ungleichheit tun. Sie beriefen zusammen mit den Fledermäusen einen Rat
ein, und brachten das Thema zur Sprache. Natürlich wehrten sich die Fledermäuse
gegen solche aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen. Sie hatten nie auch nur
im Traum daran gedacht, das zu tun, was ihnen hier vorgeworfen wurde.
»Niemand wirft euch etwas vor, liebe Fledermäuse. Wir
sagen doch nur, dass die Möglichkeit besteht. Es gibt keine Garantie, dass ihr
es nicht tut. Nicht einmal ihr selber könnt garantieren, dass nicht der eine
oder andere es heimlich tut. Ihr seid ja nicht immer zusammen.« stellte die
kluge Feldmaus klar. Hmmm, das leuchtete irgendwie ein.
Die Fledermäuse konnten dieses Misstrauen schon
nachvollziehen, auch wenn sie es als unberechtigt sahen. Ihnen war klar, dass
die Feldmäuse eine völlig andere (eingeschränkte) Perspektive hatten und das
rechtfertigte wohl so eine Sichtweise.»Wir haben nichts zu verbergen«, sagten
sich die Fledermäuse. »Ihr könnt uns gerne kontrollieren, wenn ihr dann
beruhigter seid.«»Ja, wie denn? Wir können ja nicht fliegen!« Nach langer
Debatte wurde vorgeschlagen, die Fledermäuse sollen nicht mehr fliegen. Im
Sinne der Chancengleichheit.
Schließlich ist fliegen für die Nahrungssammlung nicht
zwingend nötig, es geht auch ohne. Die Feldmäuse lieferten ja täglich den
Beweis dafür. Diese Fliegerei schürt nur Neid und Misstrauen und darum
sollte man sie im Sinne der Allgemeinheit abschaffen.
Die Flügel stutzen, was eigentlich die effektivste
Möglichkeit wäre, war dann doch zu grausam, das sahen alle ein. Also »einigte«
man sich auf einen Kompromiss. Den Fledermäusen wurden die Flügel freiwillig am
Rücken festgebunden. Man einigte sich ganz demokratisch darauf, in einer
allgemeinen, geheimen und freien Wahl. Schließlich lebte man ja in einer
Demokratie. Und da sie ja mit abstimmen durften, beugten sich die Fledermäuse
dem Willen der Mehrheit. Da die Wahl ja geheim war, könnte es ja sein, dass auch
etliche von ihnen dafür gestimmt haben. So wurden den Fledermäusen also die
Flügel auf dem Rücken festgebunden.
Da das Laufen auf der Erde aber nicht ihre Art der
Fortbewegung war, fiel es ihnen ziemlich schwer, weiter produktiv zu sein. Aber
sie strengten sich an, schließlich wollten sie ja auch ihren Beitrag für die
Gesellschaft leisten. Nach 1 - 2 Generationen, als alle merkten, daß die
Fledermäuse immer noch viel unproduktiver waren als die Feldmäuse, beschlossen
die Mäuse, an diesem Problem zu arbeiten. Allen war klar, dass es kein böser
Wille oder Faulheit der Fledermäuse war. Sie konnten es einfach nicht besser.
Also erfanden sie etwas ganz Tolles: Schulen. Damit jeder lernte, wie man
richtig läuft und richtig arbeitet. Und damit jeder, der Flügel hatte, auch
lernte, wie man diese richtig und effektiv auf dem Rücken zusammenbindet.
Es gibt nämlich Flügelbindemethoden, die den Bewegungsablauf mehr behindern als
andere. Das kommt vor allem dann vor, wenn die Flügel zu locker gebunden sind.
Und damit auch wirklich alle das lernen konnten, führte man eine allgemeine
Schulpflicht ein, in der nur bestimmte Mäuse, meistens Feldmäuse, den
Unterricht führten. Es war ja erwiesen, dass die Feldmäuse in der Nahrungssuche
viel produktiver waren. Also musste man ja von ihnen lernen. Wie kann eine
Fledermaus, die selber langsam und uneffektiv ist, anderen schnelles und
effektives Laufen und Arbeiten beibringen?
Eben, geht nicht. Das System funktionierte ganz gut,
und die Fledermäuse wurden tatsächlich ein kleines wenig schneller und
produktiver. Wenn man lange genug übt, stellten alle fest, und die richtigen
Methoden lernt und anwendet, wird man immer besser. Jedem Fledermausbaby wurde
von Geburt an beigebracht, die Flügel richtig festzubinden (die Eltern hatten es
ja mittlerweile in der Schule gelernt) und nach den ersten gelungenen aber
uneffektiven Schritten kam es dann in die Schule, wo es das Ganze richtig
lernte, damit es im Leben zurechtkommt.
Einige allzu neugierige Fledermauskinder fragten zwar,
warum sie diese komischen Auswüchse am Rücken hatten, und man erklärte ihnen
geduldig, dass das eine Missbildung sei, die das Leben erschwert. Darum muss
man sie auch zusammenbinden. Tut man es nicht, falten sich diese Missbildungen
richtig auf, und aufgrund des größeren Widerstands durch die größere Fläche,
würde das Laufen noch viel viel schwerer. Das leuchtete ein. Aber nicht allen.
Immer wieder mal kam die eine oder andere Fledermaus auf die Idee, dass diese
Missbildungen vielleicht auch einen Vorteil bringen. Sie experimentierten damit
herum, ließen sie eine Zeit lang offen. Sind die Flügel aber nicht trainiert,
funktionieren sie auch nicht, wie sie es normalerweise tun. Im Gegenteil, durch
das lange Zusammenbinden sind sie eingerostet, die Muskeln geschwächt, die Sehnen
verkürzt. So kam es, dass sich durch diese Versuche nur die bereits gelernte
Theorie bestätigte, dass offen getragene Missbildungen nur uneffektiver machen,
wegen dem höheren Widerstand, der größeren Fläche, etc., und man viel schwerer
lief. Jeder durfte es ein, zwei mal probieren, um dann einzusehen, dass es
wirklich so war.
Wer es aber öfter probierte, und dabei erwischt wurde,
auf den prasselten von allen Seiten Vorwürfe ein: er ist
gemeinschaftsschädigend, ein böser Egoist, er hat nur Dummheiten im Kopf, die
zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Diese Vorwürfe kamen gleichermaßen von
Feldmäusen und von Fledermäusen, die inzwischen ja selber lange genug gelernt
hatten, dass die Missbildungen am Rücken nur zusammengebunden ertragen werden
können.
Wenn diese Vorwürfe nicht ausreichten, um den
Deliquenten zur Besinnung zu bringen, wurden ihm die Flügel vom Kollektiv durch
Zwang zusammengebunden und er wurde von allen Seiten misstrauisch beäugt, um
jeden weiteren Aufbindeversuch zu unterbinden. Natürlich nur zu seinem Besten.
Man wollte ihn nur heilen. Bei ganz Unverbesserlichen wurde erst mit
Nahrungsentzug gearbeitet, um sie zur Besinnung zu bringen, später, wenn das
auch nicht half (was eher selten der Fall war) sperrte man sie eben für eine
bestimmte Zeit in sehr enge Käfige ein. Da konnten sie auch mit aufgebundenen
Flügeln selbige nicht ausbreiten, geschweige denn benutzen. Irgendwann sahen
sie ihr Fehlverhalten und die Sinnlosigkeit ihres Tuns ein und gaben auf. Dann
wurden sie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, standen aber noch lange Zeit
unter Beobachtung, ob sie auch wirklich einsichtig waren.
Nur einige, ganz ganz wenige, fanden heraus, wofür
diese Missbildungen am Rücken gut waren. Sie waren schlau genug, sie nur
aufzubinden und mit ihnen zu spielen, wenn niemand sonst in der Nähe war.
Ungesehen und heimlich lernten sie die Flügel wieder zu benutzen, weil sie sie
trainierten. Diese wenigen konnten fliegen. Sie kannten die Wahrheit. Und alles
in ihnen schrie danach, sie zu verbreiten: »Hey, diese Missbildungen erheben
uns über die Feldmäuse. Sie helfen uns, alles aus einer anderen, höheren
Perspektive zu sehen. Und sie machen uns so wahnsinnig produktiv und geschickt.
Wacht auf! Versucht es.
Es braucht eine Zeit, bis ihr wieder damit umgehen lernt,
aber dann kann euch nichts mehr aufhalten! «Was aber war nun mit einer
erwachten Fledermaus, die diese Wahrheit verbreitete? Niemand nahm sie ernst.
Erst recht nicht die anderen Fledermäuse. Die hatten es ja ein - zwei mal
versucht mit offenen Flügeln rumzulaufen und gesehen, dass es sie nur
behindert. Aus Erfahrung gelernt, sozusagen. Außerdem merkten sie, dass
derjenige, der diese Wahrheit verbreitete, in der letzten Zeit extrem
unproduktiv war. Er war es, weil er ja viel Zeit damit verbrachte, heimlich
seine Flügel zu trainieren. Aber die anderen sahen nur die Unproduktivität.
Also stimmte es doch, was man ihnen in der Schule beigebracht hatte: Wer mit
offenen Flügeln rumrennt, ist einfach unproduktiv. Selbst, wenn er es heimlich
tut. Und bevor er den anderen zeigen konnte, wie Fliegen geht, dass er es
wirklich kann, wurde er verhaftet und für lange Zeit bei magerer Kost in einen
engen Käfig gesteckt. So lange, bis die Muskeln in den Flügeln wieder
schwanden, die Sehnen sich wieder verkürzten und Fliegen wieder unmöglich
wurde. Wurde er dann irgendwann freigelassen, hatte er meistens kein Bedarf
mehr nach Freiheit, denn die hatte ihn viele Jahre bitterster Gefangenschaft
und Not gekostet.
Was hatte sie gebracht? Nichts, rein gar nichts.
Gleichzeitig nutzte er den anderen als Warnung. Wer seine Zeit mit
unproduktiven und blödsinnigen Rückenmißbildungstrainigsaktionen verbringt,
landet im Käfig.
Seht ihn euch an. Seht ihn euch gut an. Wollt ihr so
enden? Das wirkte. Die einzigen Fledermäuse, die minimale Anzahl, die wussten,
die fliegen konnten, die die Wahrheit kannten - nun, die konnten es nur
heimlich tun, wenn niemand sie beobachtete. Und immer mit der Angst, dabei
erwischt zu werden.
Was aber brachte es ihnen? Sie konnten zwar die
Freiheit fühlen, sie konnten alles aus einer anderen Perspektive sehen, und sie
konnten sich sogar zusätzlich Nahrung ganz nach ihrem Belieben suchen und
Vorräte anlegen. Sie konnten ein Leben in Freiheit führen, aber auch in
Einsamkeit.
Niemals durften sie darüber mit anderen reden, auch
und erst recht nicht mit anderen Fledermäusen. Nicht mit Freunden, nicht einmal
mit der eigenen Familie. Zu tief saß es in aller Köpfen, dass das Öffnen der
Rückenmissbildungen unproduktiv war. Und auch die Angst vor der Bestrafung, die
man bei anderen gesehen hatte, die die Missbildungen längere Zeit offen trugen.
Sie konnten aus dem Mäusestaat wegfliegen und sich einen anderen Lebensraum
suchen. Aber sie stellten fest, dass sich überall solche Kolonien und Staaten
gebildet hatten. Und pro Staat gab es einen, höchstens zwei, die fliegen
konnten, auch heimlich und immer in Angst vor dem Entdecktwerden.
Freiheit bedeutet Einsamkeit. Da Fledermäuse aber sehr
soziale Tiere sind, brauchten sie ihre Familien, Freunde, Nachbarn in dem
Staat. Sie brauchten Gesellschaft. Einsam leben war schlimmer, als unfrei zu
sein. Darum lebten die meisten einfach weiter mit zusammengebundenen Flügeln,
um nicht alleine zu sein.
Und nur manchmal und heimlich flogen sie und genossen
das Gefühl der Freiheit und des Wissens. Verbittert durch den Schmerz, dieses
Wissen mit niemandem teilen zu dürfen. Außer mit anderen freien Fledermäusen,
die aber weit, weit weg sind. Und immer in Angst, entdeckt und bestraft zu
werden.
Ja, so manche dieser Fledermäuse hat sich schon oft
gewünscht, die Freiheit nicht zu kennen, einfach »normal« zu leben wie die
anderen. Denn solches Wissen belastet ungemein, wenn man es nicht teilen kann.
Wer jemals in den Palast gesehen hat und seine
geheimen Kammern und prächtigen Säle bis in den letzten Winkel erforscht hat,
kann sich nie mehr mit dem Vorhof zufrieden geben.
Aufgelesen bei Voluntarist.de - Kein Zweck heiligt
Zwang
Ein Leser dieser Seite hat eine Fabel geschrieben, die
zeigt, welch tragische Verkettung Mäuse zu Etatisten macht.
Es war einmal in einem fernen Land eine Kolonie von
einigen Fledermäusen, die gemeinsam mit einer wesentlich größeren Kolonie von
Feldmäusen einen Staat gegründet hatten. Das war gut, denn gemeinsam ist man
stark. Stark gegen Bedrohungen und Fressfeinde, stark bei der gemeinsamen
Nahrungssuche und -lagerung, und bei vielem mehr.
Doch schon nach kurzer Zeit regte sich in den
Feldmäusen der Neid. Die Fledermäuse konnten fliegen, sie selber nicht. War das
nicht ungerecht? Eine besonders kluge Feldmaus stellte die Frage, die niemand
mehr vergessen sollte: »Wer sagt uns, dass die Fledermäuse alles, was sie
erbeuten, auch nach Hause bringen? Dass sie nicht irgendwo außerhalb unseres
Staates weitere Lager einrichten und einen Teil der Beute vor uns verstecken?
Wir können nicht fliegen, haben also auch keine Möglichkeit, das zu
kontrollieren. Sollten in einem Staat nicht alle gleich sein?«
Je mehr die Feldmäuse über diese Möglichkeit
nachdachten, desto schlüssiger schien es ihnen. Ja, man sollte etwas gegen
diese Ungleichheit tun. Sie beriefen zusammen mit den Fledermäusen einen Rat
ein, und brachten das Thema zur Sprache. Natürlich wehrten sich die Fledermäuse
gegen solche aus der Luft gegriffenen Beschuldigungen. Sie hatten nie auch nur
im Traum daran gedacht, das zu tun, was ihnen hier vorgeworfen wurde.
»Niemand wirft euch etwas vor, liebe Fledermäuse. Wir
sagen doch nur, dass die Möglichkeit besteht. Es gibt keine Garantie, dass ihr
es nicht tut. Nicht einmal ihr selber könnt garantieren, dass nicht der eine
oder andere es heimlich tut. Ihr seid ja nicht immer zusammen.« stellte die
kluge Feldmaus klar. Hmmm, das leuchtete irgendwie ein.
Die Fledermäuse konnten dieses Misstrauen schon
nachvollziehen, auch wenn sie es als unberechtigt sahen. Ihnen war klar, dass
die Feldmäuse eine völlig andere (eingeschränkte) Perspektive hatten und das
rechtfertigte wohl so eine Sichtweise.»Wir haben nichts zu verbergen«, sagten
sich die Fledermäuse. »Ihr könnt uns gerne kontrollieren, wenn ihr dann
beruhigter seid.«»Ja, wie denn? Wir können ja nicht fliegen!« Nach langer
Debatte wurde vorgeschlagen, die Fledermäuse sollen nicht mehr fliegen. Im
Sinne der Chancengleichheit.
Schließlich ist fliegen für die Nahrungssammlung nicht
zwingend nötig, es geht auch ohne. Die Feldmäuse lieferten ja täglich den
Beweis dafür. Diese Fliegerei schürt nur Neid und Misstrauen und darum
sollte man sie im Sinne der Allgemeinheit abschaffen.
Die Flügel stutzen, was eigentlich die effektivste
Möglichkeit wäre, war dann doch zu grausam, das sahen alle ein. Also »einigte«
man sich auf einen Kompromiss. Den Fledermäusen wurden die Flügel freiwillig am
Rücken festgebunden. Man einigte sich ganz demokratisch darauf, in einer
allgemeinen, geheimen und freien Wahl. Schließlich lebte man ja in einer
Demokratie. Und da sie ja mit abstimmen durften, beugten sich die Fledermäuse
dem Willen der Mehrheit. Da die Wahl ja geheim war, könnte es ja sein, dass auch
etliche von ihnen dafür gestimmt haben. So wurden den Fledermäusen also die
Flügel auf dem Rücken festgebunden.
Da das Laufen auf der Erde aber nicht ihre Art der
Fortbewegung war, fiel es ihnen ziemlich schwer, weiter produktiv zu sein. Aber
sie strengten sich an, schließlich wollten sie ja auch ihren Beitrag für die
Gesellschaft leisten. Nach 1 - 2 Generationen, als alle merkten, daß die
Fledermäuse immer noch viel unproduktiver waren als die Feldmäuse, beschlossen
die Mäuse, an diesem Problem zu arbeiten. Allen war klar, dass es kein böser
Wille oder Faulheit der Fledermäuse war. Sie konnten es einfach nicht besser.
Also erfanden sie etwas ganz Tolles: Schulen. Damit jeder lernte, wie man
richtig läuft und richtig arbeitet. Und damit jeder, der Flügel hatte, auch
lernte, wie man diese richtig und effektiv auf dem Rücken zusammenbindet.
Es gibt nämlich Flügelbindemethoden, die den Bewegungsablauf mehr behindern als
andere. Das kommt vor allem dann vor, wenn die Flügel zu locker gebunden sind.
Und damit auch wirklich alle das lernen konnten, führte man eine allgemeine
Schulpflicht ein, in der nur bestimmte Mäuse, meistens Feldmäuse, den
Unterricht führten. Es war ja erwiesen, dass die Feldmäuse in der Nahrungssuche
viel produktiver waren. Also musste man ja von ihnen lernen. Wie kann eine
Fledermaus, die selber langsam und uneffektiv ist, anderen schnelles und
effektives Laufen und Arbeiten beibringen?
Eben, geht nicht. Das System funktionierte ganz gut,
und die Fledermäuse wurden tatsächlich ein kleines wenig schneller und
produktiver. Wenn man lange genug übt, stellten alle fest, und die richtigen
Methoden lernt und anwendet, wird man immer besser. Jedem Fledermausbaby wurde
von Geburt an beigebracht, die Flügel richtig festzubinden (die Eltern hatten es
ja mittlerweile in der Schule gelernt) und nach den ersten gelungenen aber
uneffektiven Schritten kam es dann in die Schule, wo es das Ganze richtig
lernte, damit es im Leben zurechtkommt.
Einige allzu neugierige Fledermauskinder fragten zwar,
warum sie diese komischen Auswüchse am Rücken hatten, und man erklärte ihnen
geduldig, dass das eine Missbildung sei, die das Leben erschwert. Darum muss
man sie auch zusammenbinden. Tut man es nicht, falten sich diese Missbildungen
richtig auf, und aufgrund des größeren Widerstands durch die größere Fläche,
würde das Laufen noch viel viel schwerer. Das leuchtete ein. Aber nicht allen.
Immer wieder mal kam die eine oder andere Fledermaus auf die Idee, dass diese
Missbildungen vielleicht auch einen Vorteil bringen. Sie experimentierten damit
herum, ließen sie eine Zeit lang offen. Sind die Flügel aber nicht trainiert,
funktionieren sie auch nicht, wie sie es normalerweise tun. Im Gegenteil, durch
das lange Zusammenbinden sind sie eingerostet, die Muskeln geschwächt, die Sehnen
verkürzt. So kam es, dass sich durch diese Versuche nur die bereits gelernte
Theorie bestätigte, dass offen getragene Missbildungen nur uneffektiver machen,
wegen dem höheren Widerstand, der größeren Fläche, etc., und man viel schwerer
lief. Jeder durfte es ein, zwei mal probieren, um dann einzusehen, dass es
wirklich so war.
Wer es aber öfter probierte, und dabei erwischt wurde,
auf den prasselten von allen Seiten Vorwürfe ein: er ist
gemeinschaftsschädigend, ein böser Egoist, er hat nur Dummheiten im Kopf, die
zu Lasten der Allgemeinheit gehen. Diese Vorwürfe kamen gleichermaßen von
Feldmäusen und von Fledermäusen, die inzwischen ja selber lange genug gelernt
hatten, dass die Missbildungen am Rücken nur zusammengebunden ertragen werden
können.
Wenn diese Vorwürfe nicht ausreichten, um den
Deliquenten zur Besinnung zu bringen, wurden ihm die Flügel vom Kollektiv durch
Zwang zusammengebunden und er wurde von allen Seiten misstrauisch beäugt, um
jeden weiteren Aufbindeversuch zu unterbinden. Natürlich nur zu seinem Besten.
Man wollte ihn nur heilen. Bei ganz Unverbesserlichen wurde erst mit
Nahrungsentzug gearbeitet, um sie zur Besinnung zu bringen, später, wenn das
auch nicht half (was eher selten der Fall war) sperrte man sie eben für eine
bestimmte Zeit in sehr enge Käfige ein. Da konnten sie auch mit aufgebundenen
Flügeln selbige nicht ausbreiten, geschweige denn benutzen. Irgendwann sahen
sie ihr Fehlverhalten und die Sinnlosigkeit ihres Tuns ein und gaben auf. Dann
wurden sie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen, standen aber noch lange Zeit
unter Beobachtung, ob sie auch wirklich einsichtig waren.
Nur einige, ganz ganz wenige, fanden heraus, wofür
diese Missbildungen am Rücken gut waren. Sie waren schlau genug, sie nur
aufzubinden und mit ihnen zu spielen, wenn niemand sonst in der Nähe war.
Ungesehen und heimlich lernten sie die Flügel wieder zu benutzen, weil sie sie
trainierten. Diese wenigen konnten fliegen. Sie kannten die Wahrheit. Und alles
in ihnen schrie danach, sie zu verbreiten: »Hey, diese Missbildungen erheben
uns über die Feldmäuse. Sie helfen uns, alles aus einer anderen, höheren
Perspektive zu sehen. Und sie machen uns so wahnsinnig produktiv und geschickt.
Wacht auf! Versucht es.
Es braucht eine Zeit, bis ihr wieder damit umgehen lernt,
aber dann kann euch nichts mehr aufhalten! «Was aber war nun mit einer
erwachten Fledermaus, die diese Wahrheit verbreitete? Niemand nahm sie ernst.
Erst recht nicht die anderen Fledermäuse. Die hatten es ja ein - zwei mal
versucht mit offenen Flügeln rumzulaufen und gesehen, dass es sie nur
behindert. Aus Erfahrung gelernt, sozusagen. Außerdem merkten sie, dass
derjenige, der diese Wahrheit verbreitete, in der letzten Zeit extrem
unproduktiv war. Er war es, weil er ja viel Zeit damit verbrachte, heimlich
seine Flügel zu trainieren. Aber die anderen sahen nur die Unproduktivität.
Also stimmte es doch, was man ihnen in der Schule beigebracht hatte: Wer mit
offenen Flügeln rumrennt, ist einfach unproduktiv. Selbst, wenn er es heimlich
tut. Und bevor er den anderen zeigen konnte, wie Fliegen geht, dass er es
wirklich kann, wurde er verhaftet und für lange Zeit bei magerer Kost in einen
engen Käfig gesteckt. So lange, bis die Muskeln in den Flügeln wieder
schwanden, die Sehnen sich wieder verkürzten und Fliegen wieder unmöglich
wurde. Wurde er dann irgendwann freigelassen, hatte er meistens kein Bedarf
mehr nach Freiheit, denn die hatte ihn viele Jahre bitterster Gefangenschaft
und Not gekostet.
Was hatte sie gebracht? Nichts, rein gar nichts.
Gleichzeitig nutzte er den anderen als Warnung. Wer seine Zeit mit
unproduktiven und blödsinnigen Rückenmißbildungstrainigsaktionen verbringt,
landet im Käfig.
Seht ihn euch an. Seht ihn euch gut an. Wollt ihr so
enden? Das wirkte. Die einzigen Fledermäuse, die minimale Anzahl, die wussten,
die fliegen konnten, die die Wahrheit kannten - nun, die konnten es nur
heimlich tun, wenn niemand sie beobachtete. Und immer mit der Angst, dabei
erwischt zu werden.
Was aber brachte es ihnen? Sie konnten zwar die
Freiheit fühlen, sie konnten alles aus einer anderen Perspektive sehen, und sie
konnten sich sogar zusätzlich Nahrung ganz nach ihrem Belieben suchen und
Vorräte anlegen. Sie konnten ein Leben in Freiheit führen, aber auch in
Einsamkeit.
Niemals durften sie darüber mit anderen reden, auch
und erst recht nicht mit anderen Fledermäusen. Nicht mit Freunden, nicht einmal
mit der eigenen Familie. Zu tief saß es in aller Köpfen, dass das Öffnen der
Rückenmissbildungen unproduktiv war. Und auch die Angst vor der Bestrafung, die
man bei anderen gesehen hatte, die die Missbildungen längere Zeit offen trugen.
Sie konnten aus dem Mäusestaat wegfliegen und sich einen anderen Lebensraum
suchen. Aber sie stellten fest, dass sich überall solche Kolonien und Staaten
gebildet hatten. Und pro Staat gab es einen, höchstens zwei, die fliegen
konnten, auch heimlich und immer in Angst vor dem Entdecktwerden.
Freiheit bedeutet Einsamkeit. Da Fledermäuse aber sehr
soziale Tiere sind, brauchten sie ihre Familien, Freunde, Nachbarn in dem
Staat. Sie brauchten Gesellschaft. Einsam leben war schlimmer, als unfrei zu
sein. Darum lebten die meisten einfach weiter mit zusammengebundenen Flügeln,
um nicht alleine zu sein.
Und nur manchmal und heimlich flogen sie und genossen
das Gefühl der Freiheit und des Wissens. Verbittert durch den Schmerz, dieses
Wissen mit niemandem teilen zu dürfen. Außer mit anderen freien Fledermäusen,
die aber weit, weit weg sind. Und immer in Angst, entdeckt und bestraft zu
werden.
Ja, so manche dieser Fledermäuse hat sich schon oft
gewünscht, die Freiheit nicht zu kennen, einfach »normal« zu leben wie die
anderen. Denn solches Wissen belastet ungemein, wenn man es nicht teilen kann.
Wer jemals in den Palast gesehen hat und seine
geheimen Kammern und prächtigen Säle bis in den letzten Winkel erforscht hat,
kann sich nie mehr mit dem Vorhof zufrieden geben.
Aufgelesen bei Voluntarist.de - Kein Zweck heiligt
Zwang
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zeigt, welch tragische Verkettung Mäuse zu Etatisten macht.
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